Archiv des Autors: Steinmädchen

Repetitionswut

Mit der Zeit wird es taub in mir,
nichts ist mir mehr zuwider als
Wiederholungen,
stumpfes Imkreismarschieren

Jedes Wort, jeder Satz, jedes Gedicht –
immer aufs neue der Versuch im Kreis marschierend Maschinengeschichten zu erzählen

imkreismarschieren
Kreismaschine
Imkreismaschierendemaschine

voller Wut
maschinierte Wut

Imkreismaschierendemaschinenwiederholungswut

Identitätslos

Träume die das Leben verlassen
Völlige Orientierungslosigkeit
Der Anspruch
Ohne
Geschlechter, Nationalitäten, Religionen
Leben zu wollen
In Freiheit
Unabhängig und Selbstbestimmt

Ich brauche diese Kategorien nicht,
Habe mich nie durch sie gefunden.

Aber wo bin ich, wer bin ich?
Wohin geh ich, wohin will ich?

Ich habe die Worte verloren.

Bääähtschelohr

Bin ich eigentlich die Einzige, die sich gänzlich unqualifiziert fühlt? Wenn ich mir vorstelle, in zwei Jahren hab ich meinen Abschluss. Bääähtschelohr. Klingt schon ziemlich bäh.
Die Seminare ziehen an mir vorbei, genau wie die ersten beiden Semester. Ich habe ein paar Bücher gewälzt. Habe mich mit alternativen Lebenskonzepten beschäftigt. Habe von einer anderen Art des Lebens geträumt. Tu es immer noch.
Und bin doch… nicht anders als andere. Ich wähle die Sicherheit anstatt das Abenteuer. In den Ferien mal ein kleiner Ausbruch, eine kleine Reise.
So lange ich dazu nicht den Rasen betreten muss. Steht irgendwo „Stopp“, halte ich an. Musterexemplar einer Bürgerin. Abitur in 13 Jahren. Direkter Beginn des Studiums. 3 Jahre Regelstudienzeit, damit mir das Bafög auch nicht gestrichen wird – und damit ich früh fertig bin.
Aber ich hab doch keine Ahnung! In den Weiten des Studiums merke ich wie wenig ich weiß, wie viele Bücher ich gerne lesen würde, wie viel Zeit ich dafür bräuchte. Und ich merke, wie viel ich gerne erleben würde.
Doch in den Semesterferien schreibe ich Hausarbeiten und lese Bücher. Nächstes Jahr im Sommer ein Praktikum. Und dann ist der Bääähtschelohr schon vorbei.
HILFE!
Ich werde unter der Brücke landen, alle werden meine Ahnungslosigkeit merken und dann wird man mich auslachen und rauswerfen vor dem Einstellen und ich werde in den Untergrund gehen, die Revolution planen, feststellen, dass ich dabei den verbotenen Rasen betreten müsste und wieder fliehen. Und dann wird es sowieso den nächsten Krieg geben und Bomben fliegen und die Welt zerbricht eh aus den Fugen und Orkane und andere Naturkatastrophen werden uns überrollen, die Welt wird in Finsternis versinken und es wird sowieso kein Entrinnen geben und dann ist es auch egal dass ich keine Arbeit finde.
Kurze Luftholpause.
Ähm.
Ich gebe zu ich bin manchmal leicht dramatisch, und neige zu einem gewissen Pessimismus, aber eigentlich bin ich ziemlich realistisch. Finde ich.
Vielleicht ist es dezent übertrieben mit dem Untergang der Welt, aber ich weiß wirklich nicht wohin mit mir in dieser Welt. Ich kann keine Raumschiffe bauen, ich kann nicht einmal mehr die pq-Formel, ich habe vergessen was das mit der Zentripetalkraft war und das mit den endoplasmatischen Redikulums (oder wie zum Teufel die Mehrzahl auch gebildet wird – falls es die geben sollte…) habe ich nie begriffen. In Englisch weigert sich mein Mund eine vernünftige Aussprache zu verwenden, Französisch zu sprechen ähnelt einer Gewalttat meinerseits.
Ich kann aus einem Schatten den Weltuntergang interpretieren, ich kann die Gesichtsausdrücke von Kuscheltieren deuten und ich kann ziemlich viele Zeilen über Zukunftspanik schreiben, ohne ein passendes Ende zu finden.
Vielleicht in zwei Jahren, ich bitte um Geduld. Dann hab ich schließlich einen Bääähtschelohr.

Nackte Zukunftsangst

Nackt liege ich da. In einem fremden Bett. In einem fremden, dezent chaotischen Bett, mit miefigen Decken und leeren Verpackungen, die in meinen Rücken schneiden. Auf der Suche nach tröstenden Erklärungen lasse ich den vergangenen Abend vor meinem geistigen Auge an mir vorüberziehen. Eine nicht besonders effektive Methode, wenn ich den Alkoholpegel bedenke. Doch wieder erwarten ist mein Erinnerungsvermögen klar, wenn man von den bunten Farben und Verwischungselementen am Bildrand absieht, ein stilistisches Mittel, nicht zuletzt seit exessivem Photoshopgefiltere – oder eben Drogenkonsum.
Wir waren feiern, fröhlich angetrunken, haben getanzt, es waren gutausehende Typen da, die uns mit einem umwerfenden Lächeln verführt haben um uns dann in einer warmen Sommernacht auf einer verborgenen Lichtung im Wald in die höchsten Höhen der Lust zu befördern.
So weit die tröstende Erklärung.
Die Realität sieht anders aus, so simpel, das sie eigentlich keinerlei Analyse bedarf. Die schlichte Wahrheit: Ich war einsam.
Ich war einsam und sturzbetrunken, ich bin nicht von Orlando Bloom entführt worden sondern habe mir den nächstbesten sexhungrigen Nicht-Zum-Zuge-Kommer gekrallt, um mit ihm in dieses Rattenloch zu verschwinden.
Was folgte hat sich inzwischen empirisch immer wieder aufs neue bestätigt: Mittelmäßiger bis schlechter Sex, intensive Diskussionen über philosophische Fragen mit mir selbst, sowie die Formulierung eines Bewerbungsschreiben für das xte Praktikum, damit aus mir eine erfolgreiche Karrierefrau wird.
Ein schnelles Jaja auf die Frage, ob wir uns wieder sehen könnten – übersetzt: ob ich wohl nochmal die Beine breit machen würde – und ein Verschwinden noch vor Sonnenaufgang.
So schlüpfe ich auch diesmal schnell in die rettende Kleidung, entgehe dem: „Oh, du ziehst dich schon wieder an? Bleib doch noch.“ und entfliehe in den kalten Morgen, kehre heim in mein Leben, und lasse den Einsamkeitssex zurück in der Nacht, zurück zwischen Pappschachteln und Essensresten.

Gelebt?

Und was, wenn morgen die Zimmerdecke herunterkracht?

Habe ich dann genug gelacht, gehofft und geliebt – und vor allem: habe ich genug Eis gegessen?

Habe ich ausreichend Sandburgen gebaut, bin ich manchmal faul gewesen , habe ich genug Menschen angelächelt?

Habe ich mich genug an Blumen erfreut, bin ich schon in einen Fluss gefallen, habe ich genug geküsst und umarmt?

Habe ich im Regen getanzt, bin ich oft genug in Pfützen gesprungen, habe ich gesagt: ich liebe dich?

Schweigewände

Die Arme fest um die Beine geschlungen sitzt sie da. Um sie herum regt sich nichts. Nur von draußen erklingt das Rauschen des Windes.
Ist es wirklich?
Marie betrachtet die weißen Wände vor sich.
Ob sie wirklich existieren?
Von Weiß umgeben sitzt sie da, irgendwo in der Zwischenwelt. In dem namenlosen Raum zwischen Realität und Wahnsinn.
Sie sagen sie wäre krank. Deswegen ist sie hier, in diesem weißen Zimmer.
Wo die Wände schweigen. Kalt bleiben sie, ganz kalt.
Und still.
Marie sucht die Geschichte, die Geschichte hinter diesem Schweigen.
Doch da ist nur Leere.
Ein tiefes Nichts, dass sie zu verschlingen droht, sie aufsaugt. Sie will sich wehren, protestieren. Sie will aufstehen und schreien.
Kalte Hände pressen sich auf ihren Mund. In ihrer Kehle ist ein Knoten, sie wird ersticken. Sie kann sich nicht bewegen, kann nicht rufen, nicht flehen.
Dieses Tapsen, dieses Raunen.
Wahrheit oder Einbildung?
Marie verzweifelt, weiß nicht wo sie ist. Weiß, dass sie verrückt ist. Sie hört Dinge, die nicht da sind.


Er hat ihr gesagt sie wäre nett.
Er sagte, sie wäre hübsch und attraktiv.
In ihr schrie alles auf.
Marie hielt sich die Ohren zu, wollte es nicht mehr hören. Die lauten Stimmen, die alles in ihr explodieren lassen, sie von innen zudröhnen.
Marie ist eklig, Marie ist abstoßend.
Abstoßend. ABSTOßEND!

Jetzt sitzt sie da, auf diesem weißen Bett, in dem Zimmer mit den weißen Wänden. Ein Zimmer ohne Geschichte.
Müssten die Wände nicht viel zu erzählen haben von den ganzen stummen Menschen? Menschen, in deren Köpfen Dämonen toben.
Marie horcht hinein in das kalte Zimmer.
Die Wände bleiben stumm. Sie hören nicht, dass es in ihr schreit. Und auch sie können Marie nicht sagen, was wirklich ist.
Marie schweigt weiter – und ihre Geschichte bleibt unerzählt, erstickt von weißen Wänden und lautem Geschrei.