Archiv des Autors: Steinmädchen
Narbenkind
Ganz einsam sitzt sie da
beobachtet die Welt
die lächelt die Leute an
doch wenn keiner guckt
zieht ein Schatten über ihr Gesicht
ein Ärmel ist ihr hochgerutscht
rote Striche ziehen Blicke an
erstaunt, mitleidig, entsetzt
sie versuchen es zu verbergen
wenden sich schnell ab
und fragen sich ganz leise
was passiert ist,
dass aus dieser jungen Frau
ein kleines Narbenkind wurde.
Gewitterkind
Sie sitzt da, die Leinwand auf den Knien und lauscht dem Unwetter.
Draußen zucken helle Blitze über den ganzen Himmel, erleuchten die Bäume, deren schwarze Gestalt hin und her wankt.
Sie versucht die Schönheit, die Faszination des Gewitters mit ihren Farben einzufangen. Blauabstufungen, Schwarztöne, helle Streifen.
Sie malt und malt, doch die Welt lässt sich nicht packen, die Farben sind nicht intensiv genug, die Farben passen nicht.
Sie können den Sturm nicht wiedergeben.
Auch nicht den in ihrem Kopf.
Sie greift nach einer roten Tube und drückt sie zusammn. Aggressiv verteilt sie die Farbe, schlägt auf die Leinwand ein, bis das Rot den Gewitterhimmel bedeckt.
Und dann springt sie auf, rennt hinaus in den Regen.
Sie schreit.
Sie schreit laut und wild, schlägt das Bild in die Erde.
Und während sie mit geballten Fäusten dasteht und weint verläuft die Farbe, und das nasse Gras färbt sich rot.
Nirgendwo
Die Welt gleitet dahin.
Bäume ziehen vorbei, Häuser und Bauten.
Von Fern erklingt das Rattern des Zuges.
Ein Zug ins Nirgendwo.
Gefüllt mit gesichtslosen Wesen.
Sie starren geradeaus, die Hinterköpfe der Mitfahrenden an.
Hier und dort verstummen die Geräusche und Organmassen erheben sich, verlassen den Zug.
Gehen ins Nichts.
Verlassen die Fahrt ins Nirgendwo.
Bewegen sich mechanisch, ihr Körper ist voll funktionsfähig.
Es gibt kein Ziel.
Alles fließt, der Zug fährt und hält an.
Die gesichtslosen Köpfe starren.
Sie wissen nichts von einander.
Gemeinsam fahren sie ins Nirgendwo.
Schritt für Schritt
Paula sitzt allein auf ihrem Bett. Sie hält ihren Teddy fest im Arm, doch sie spürt ihn nicht. Sie fährt mit den Fingern über das Fell.
Sie weiß, dass es flauschig und weich ist, aber sie fühlt es nicht.
Paula versucht aufzustehen, doch ihre Beine tragen sie nicht.
In ihr ist alles leer.
Taub und stumm sitzt sie da, sehnt sich nach Leben – und findet nur Nebel.
Es ist nichts da.
Paula weiß, was ihr helfen wird. Neben ihr liegt das kleine, schwarze Kästchen. Der Schmerz wird ihr helfen wieder zu spüren, wieder zu wissen, dass es sie gibt.
Paula tanzt. Sie tanzt wild und ausgelassen.
Alle quälenden Gedanken sind verschwunden hinter einer Mauer aus packenden Beats und der betörenden Wirkung von Alkohol und Gras.
Sie hat sich selbst ausgeschaltet, weil sie sich nicht ertragen kann.
Sie spürt die Nähe, ist ungehemmt, kann sie zulassen und genießen.
Paula verliert sich im Rausch.
Timos Hände stören sie nicht.
Nachts stolpert Paula nach Hause, nicht klar im Kopf. Sie stopft alles Essbare in sich hinein, will zur Ruhe kommen. Die innere Anspannung quält sie, sie sehnt sich nach ein bisschen Frieden.
Und am Morgen bleibt ein schaler Geschmack zurück.
Paulas Kopf droht zu platzen und der Verband um ihren Arm ziept und kneift.
Was ihr gestern noch half zu überleben quält sie jetzt – wie soll sie den neuen Tag beginnen?
Paula ist übel, sie schämt sich. Sie fühlt sich benutzt, ekelt sich vor sich selbst. Und wieder neue Narben am Arm.
Paula rollt sich ganz klein zusammen und fängt an zu weinen.
Paula hat geschlafen. Paula hat weitergemacht.
Sie hat wieder ein Stück Selbstachtung verloren, jedes letzte Stück Respekt.
Und doch… sie ist immer noch da.
Langsam wächst in Paula ein Wunsch. Erst ist er nur ganz klein, aber sie hütet und pflegt ihn. Und der Keim wird größer, ein Sprößling entsteht.
Der Wunsch nach Normalität.
Nach innerer Ruhe. Nach einer Pause im Sturm. Nach Nähe, die nicht weh tut. Nach Selbstrespekt.
Paula wünscht sich Frieden, Frieden vor sich selbst. Kein Hass, keine Drohungen, keine lauten Stimmen und Geräusche, die sie vom Leben abhalten wollen.
Paula will kämpfen, will doch alles anders machen. Aber sie ist müde, müde und erschöpft. In ihr tobt ein Sturm, unterbrochennur durch absolute Leere.
Paula will kämpfen, doch wie kann sie sich finden? Verloren im Chaos, verloren im Nichts.
Mühsam hebt Paula sich aus dem Bett. Sie muss sich festhalten. Langsam torkelt sie ins Bad, ihre Beine geben nach. Sie setzt sich auf den Wannenrand und läßt kaltes Wasser über ihre Beine laufen.
Nur ganz langsam nimmt sie etwas wahr. Ihre Hände suchen ein kleines Fläschchen, sie reibt sich Minzöl unter die Nase.
Als Paula aufsteht, muss sie nicht halb kriechen. Sie steht unsicher, aber sie steht. Paula dreht die Anlage auf und beißt in eine Chilischote. Erst spürt sie nichts, doch dann klärt sich ihr Blick.
Noch immer ist das Verlangen, sich zu zerstören, groß.
Doch Paula kann wieder denken. Sie nimmt das Kästchen, das immer noch auf ihrem Bett liegt, wiegt es in den Händen – und schließt die Klingen weit hinten in ihrem Schrank ein.
Paula geht es nicht gut. Aber sie hat ein Stückchen Selbstachtung wieder gewonnen.
Und statt einer Narbe bleibt lediglich der brennende Geschmack von Chili im Mund zurück.
13. August 2008
verkleidet
kaputte Seele
in zerstörtem Leib
wieso sind da Ärmel,
die die wahrheit verbergen?
wieso ist da ein Lächeln,
das eine Lüge verbreitet?
wieso ist da eine normale, junge Frau –
wenn doch in ihrem Kopf Dämonen toben.
die Seele schreit und ruft und fleht
bittet lautlos um Hilfe
erfolglos
und wieder zeichnen Narben
den scheinbar normalen Körper
verdeckt unter Stoff
die Arme voller Wunden
verloren
da war ein kleiner Funken Hoffnung
ein kleines Licht mit hellem Schein
eine Kerze in der dunklen Nacht
doch alles hoffen ist vergebens
das labyrinth bleibt finster
und verschlossen ist der Ausgang.
Einsamkeit
der dunkle wald
allein
verloren eilt sie umher
sucht den ausweg
aus der Finsternis
äste knacken
tiere rascheln im gebüsch
nimmt sie von ferne wahr
es ist nicht wirklich
und in der nacht
verliert sie sich
in tiefer einsamkeit
Marienkäfer-Mystery
Johann ließ stöhnend den Kopf in die Hände sinken. Blöder Botanikkram. Das würde er nie alles lernen!
Er ließ seinen Blick umherschweifen, blickte aus dem Fenster. Die Sonne schien herrlich hell auf die grüne Wiese. Er hatte gerade keinerlei Interesse zu lernen, wie man erklärt warum da draußen alles so schön bunt aussieht – und erst recht nicht an den lateinischen Bezeichnungen für diese Vorgänge. Er wollte nach draußen, sich in eine Hängematte legen und schlafen. Ein bisschen kalt würde es sein, aber im Frühling auf der falschen Seite des Fensters zu sitzen, über Biologiebücher gebeugt, das war einfach nicht fair.
Am Abend würde er Luise treffen, der einzige Ausblick an diesem Tag. Eigentlich wollte er ihr ja etwas anderes als nur Schokoeier mitbringen, aber wie sollte er das bloß schaffen? Zum Einkaufen war keine Zeit mehr. Er musste ja lernen.
Wie schön wäre es jetzt da draußen… Luise beobachten wie sie in ihrem weißen Sommerkleid über die Wiese wirbelt… Bunte Blumen überall in der Luft, in ihrem dunklen Haar…
Ein lauter Knall riss Johann jäh aus seinen Träumen. Die Tür zu seinem Zimmer war aufgeflogen, und im Rahmen stand ein kleiner Gnom, verborgen unter einer viel zu großen Mütze, der Rest Gesicht versteckt hinter einer riesigen Lupe.
„Ich hab es genau gesehen, er ist hier drin verschwunden.“
„Paul, was machst du da mit meinem Mantel?“
Johann blickte entgeistert auf seinen kleinen Bruder, eingehüllt in einen schwarzen Mantel der bis zum Boden reichte, in der einen Hand die Lupe, in der anderen ein Koffer.
Paul richtete sich stolz auf.
„Ich bin ein Detektiv. Und hier drin ist er verschwunden.“
„Wer denn?“
„Na der Marienkäfer. Mit den vielen Punkten.“
„Ein Marienkäfer?!“
Paul antwortete nicht sondern betrachtete durch die Lupe das ganze Zimmer. „Ich habe ihn genau beobachtet…“
„Paul, du machst jetzt sofort die Fliege, ich muss lernen!“
Paul verschränkte die Arme und setzte sein Schmollgesicht auf. „Du nimmst mir meinen Fall weg!! Du bist blöd.“
„Wenn ich einen Fall zu lösen habe, sage ich dir Bescheid. Jetzt habe ich erstmal eine andere Aufgabe für dich.“ Johann war gerade etwas eingefallen: „Könntest du mir vielleicht eine schöne Blume aus dem Garten holen? Als Geschenk für Luise?“
Paul, der Luise wie eine Göttin verehrte, guckte böse, nickte aber dann und wand sich zur Treppe.
„Aber danach suche ich den Käfer – ich kriege jeden Fall gelöst!“
Johann musste lächeln. Sein kleiner Bruder war zwar eine fürchterliche Nervensäge, aber irgendwie eine Niedliche. Und er würde sich jetzt erstmal ein Glas Wasser von unten holen, vielleicht würde es dann mit dem Lernen endlich klappen.
Als Johann sein Zimmer wieder betrat, sah er sofort, dass etwas fehlte. Die Schokoeier waren fort! „Paul der kleine Wicht…“ Johann zischte wütend. Verdammt sollten alle kleinen Geschwister sein. Er stürzte zur Treppe und brüllte: „Paaaaaaaaauuuuuul!!!!!!!“
Am unteren Ende tauchte der kleine Bruder auf, das Gesicht von Erde verschmiert. Johann war gerade mit ganz anderen Gedanken beschäftigt, und so vergass er vollkommen, sich zu wundern, dass Paul sich so schmutzig gemacht hatte – nur um eine Blume zu pflücken.
„Hast du die Schokoeier von meinem Schreibtisch weggenommen, du kleiner, dreister Wicht? Ich muss lernen, verdammt“
Paul guckte erst erstaunt, doch dann leuchtete sein Gesicht vor Freude auf. „Ein Fall für mich: ein echter Einbruch!“
„Paul, verdammt, das ist kein Spiel. Warst du es oder nicht?“
Paul guckte Johann so hochmütig, wie er es von seiner Körpergröße her nur konnte, an. „ICH habe ein Albi. Mama hat mich im Garten gesehen.“
Inzwischen waren die anderen Familienmitglieder aufgetaucht, angelockt von Johanns Wutgeschrei. Erst die Mutter, gefolgt von der Oma und der dreizehnjährigen Schwester.
Paul blickte zu seinem großen Bruder hoch. „Bekomme ich ein Eis, wenn ich den Fall löse?“ „Meinetwegen… Dann mach aber schnell!“
Johann beobachtete entnervt seinen kleinen Bruder, wie er an den drei Frauen vorbei ging.
„Also… Mama kann es nicht gewesen sein. Die habe ich im Garten gesehen, sie hat also für die Tatzeit ein Albi.“ Johann verbesserte Paul: „Paul, es heißt Alibi.“ „Dann eben Alibi. Es kommen also nur Verena und Oma in Frage.“ Der kleine Paul wendete sich an seine Schwester: „Wo warst du, als die Schokoeier gestohlen wurden?“ Verena blickte ihren Bruder von oben herab an. „ICH stehle doch keine Schokolade… die machen dick!“ Zu Johann gewandt fügte sie hinzu: „Ich würde an deiner Stelle Luise sowas auch nicht schenken…“ Johann gab bissig zurück:“Nicht alle sind so Klischeeweiber wie du und täglich auf Diät!“
Paul blieb vor der Oma stehen. „Und du?“ „ICH war es auch nicht. Ich bin doch viel zu langsam…“
Paul griff nach seiner Lupe. „Eine lügt hier…“ Er betrachete die Kleidung von Verena und der Oma intensiv. Dann drehte er sich strahlend um. „Ich weiß wer die Täterin ist.“ Johann guckte ihn zum zweite Mal an diesem Tag entgeistert an. „Und woher?“ „Na, ist doch ganz klar. Der Marienkäfer. Der mit den 18 Punkten. Der ist in dein Zimmer geflüchtet. Und jetzt sitzt der bei Oma auf dem Ärmel. Oma war es also.“
Die Oma guckte schmollend. „Wenn der Arzt mir auch alle leckeren Sachen verbietet – und ihr hört auch noch auf diesen Quacksalber…“
Paul grinste Johann an. Der seufzte ergeben. „Okay, du bekommst dein Eis.“ „Aber Straciatella!“ „Meintewegen…“
Johann betrachtete Pauls Gesicht eingehend. „Wolltest du nicht im Garten eine Blume pflücken oder im Schlamm Baden?“
Paul strahlte noch mehr. „Von Pflücken hast du nichts gesagt…“ Er öffnete seinen Koffer und nahm vorsichtig eine Schachtel heraus. In der Schachtel war inmitten eines großen Stückes Wiese ein Gänseblümchen zu sehen. Und zum dritten Mal an diesem Tag genoß er den entgeisterten Blick seines großen Bruders. „Du hast mir schließlich mal gesagt, das Blumen sterben, wenn man sie ausreißt. Und Luise darfst du doch nichts Totes schenken…“
Zitate aus „Maya mein Mädchen“
(Ein Buch von Gyde Callesen)
„Wie ein abgebrochener Schlüssel. Ich kann mich nicht mehr finden und nicht auf die Suche machen nach mir. Das sind die zerfetzten Teile ohne Zusammenhang.Zum Zaungast geworden im Zirkus des eigenen Lebens. Das Programm ist bunt und gefährlich.“
„Verrücktsein schmeckt nach Grapfruit. Bitter. Süß nur, wenn man Zucker darauf streut.“
„Der Sinn ist in der Wüste verdurstet auf dem Weg zur Oase“
Ein Buch das ich euch wärmstens empfehlen kann!!