Archiv des Autors: Steinmädchen

Fassadenrisse

Kaputt

Sie sieht sich nicht an, weicht dem Spiegel aus.
Will sie nicht sehen, diese kalten, leeren Augen, in einem fetten und zerstörten Körper.
Sie ekelt sich, weicht zurück.
Durch ihre leeren Augen schimmert ein Stück Wahnsinn.
Sie sieht doch so normal aus – und innen tobt ein Wirbelsturm, ein Chaos.
Die Kraft ist ihr entwichen, die Kraft eine Lüge aufrecht zu erhalten.

Und sie bricht auf dem Bett zusammen, schlägt auf sich ein, wirft sich gegen die Wand, rächt sich an dem abstoßenden Stück Fleisch, will es zerstören.
In blinder Wut nimmt sie alles um diesem Körper wehzutun.
Sie sucht nach einem Messer, um es sich in den Bauch zu rammen. Ganz tief. Um das Fett rauszuschneiden, den Beweis ihres Versagens.
Sie ist losgelöst von der Welt, ihr eigenes Chaos hat sich nach draußen gedrängt und übernimmt die Macht.
Zurück bleibt ein erschöpfter, blutender Körper – zerstört wie ihre Seele.

Gegangen

Die Frau sitzt am Tisch. Sie lächelt ihre Familie an. Alles ist perfekt und harmonisch. Sie hat gekocht, dem Mann und den Kindern schmeckt es. Sie sind eine moderne Familie. Ihr Mann wird abräumen und den Kindern bei den Hausaufgaben helfen. Damit sie Zeit für ihre Arbeit hat. Heutzutage teilen sich Eheleute die Hausarbeit. Es ist ihnen wichtig, mit der Zeit zu gehen. Sie sind eine ideale Familie. Die Kinder bekommen Liebe und Aufmerksamkeit. Es gibt Regeln, aber auch Freiheiten. So wie es sein soll. Der Mann lächelt die Frau an. Er ist stolz auf sie. Wie sie alles schafft. Sie hat eine Beförderung bekommen. Er hat eine erfolgreiche Frau. Am Abend werden sie ausgehen. Ohne die Kinder. Für die kommt ein Babysitter. Der Mann zieht sein Jacket an. Die Frau ist oben und wirft sich in Schale.
Denkt er.
Sie ist unpünktlich, wo bleibt sie bloß? Der Mann geht die Treppe nach oben, er öffnet die Tür zum Bad – und da sieht er sie am Boden liegen. Eine heile Welt plötzlich zerstört.

Traumland

Ihre Arme bunt gescheckt
Rot, grün, gelb und blaue Flecken
Jeder sieht bei ihrem Recken
Den Leib, von Narben bedeckt.
Erschrocken heben sich die Augen
Um in ihr Gesicht zu gucken
Bemerken so ihr rasches Ducken
Und wollen doch das Lachen glauben.
Die Treppe wirds gewesen sein
Oder eine ihrer Türen
man wagt es nicht, sie zu berühren
Und weicht zurück vor ihrer Pein.
Nein ich wurde nicht geschlagen
Ich habe keinen Grund zu klagen.

27.2.2008

Auch Britney muss mal kotzen

Getrieben vom Beat der Zeit
Schreiten wir durch die Nächte
Losgelöst von Wirklichkeit
Als ob es uns was brächte

Suchend, fragend, ungewiss
Treppen, Plätze, Straßenbahn
Straßenlampen Vogelschiss
Treiben wir im Städtewahn

Kneipe rein und Kneipe raus
Geh mir nicht mehr auf den Leim
Kaum zu glauben, aus die Maus
Hit me baby one more time

Proberaumgemeinschaftsprojekt
Merci!

Ein Stückchen Leben

Vorsichtig schleicht er sich nach Draußen. Die Kälte des Bodens dringt durch seine nackten Füße in seinen Körper. Frische Luft umspielt seine Knöchel, ein leichter Wind fährt über seine Haut. Er setzt einen Fuß nach dem anderen auf. sanft und langsam. Er spürt die Erde unter seinen Fußsohlen, doch er friert nicht. Er fühlt die Energie die durch seinen Körper strömt.
Er geht noch einige Schritte auf dem roten Boden und fängt dann an zu laufen. Er will es gar nicht, doch seine Füße fühlen eine Kraft die Bewegung fordert. Er muss ihr einfach nur nachgeben. Er rennt, seine Beine bewegen sich fast anmutigen, sacht berühren die Füße die Erde und stoßen sich wieder ab. Fast lautlos läuft er der unbefestigten Straße entlang, die tief ins Land hinein führt, direkt auf den Mond zu. Nur wenn er ganz genau hinhört, kann er ein leisen Tapsen hören, ein Geräusch, dass nur durch nackte Füße auf harter Erde erzeugt werden kann.
Er gibt sich dem Rhythmus des Laufens hin, ganz gleichmäßig bewegt er sich durch die Nacht. Seine Gedanken erliegen der Gleichförmigkeit.
Der Mond leuchtet hell und taucht die Welt in dunkle Schatten, die Umrisse von den hohen, fast kahlen Bäumen heben sich vom Dunkelblau des Himmels ab.
Plötzlich wird er gepackt von einem Gefühl der ungebändigten Freiheit. Es ist als würde er fliegen, als wäre er nicht mehr auf dieser Welt. Er springt in die Luft, macht größere Schritte, fast Sprünge – er ist frei!
Er wendet sich zur Seite, runter von der Straße, spürt ein paar spitze Steine unter den Füßen, die picksenden Grashalem – doch sie stören ihn nicht. Endlich ein bisschen Freiheit, keine Arbeit, nur er.
Und dann explodiert der Boden unter seinen Füßen. Erde fliegt in die Luft, hoch in den Himmel. Und mit ihr ein Bein und ein Arm. Die Mine hat seinen Körper in Stücke gerissen.

Lebensfarben

die welt, die tanzt, die musik, die dröhnt, das bett, das schwankt, alles voller bunter farben, ein karusell, dass sich immer schneller dreht und schneller und schneller…

Smilla öffnet stöhnend die Augen. In ihr dreht sich alles, ihr Magen rebelliert. Wogegen, fragt sie sich – wie war sie überhaupt in ihr Bett gekommen? Und überhaupt, was war letzte Nacht los gewesen?
Viel zu viele Fragen für mitten in der Nacht… Warum zum Teufel war es soll hell? War das der Mond? Vollmond gehörte doch abgeschafft…
Schnell schließt Smilla die Augen wieder. Ihre Hand tastet nach der Wasserflasche, die neben dem Bett steht. Sie kann sie nicht greifen, stößt sie um. Vorsichtig versucht sie sich zur Seite zu drehen, ihr Kopf fühlt sich an wie eine Waschmaschine auf Hochtouren, kurz vor der Explosion.
Mit konzentrierter Miene hebt Smilla ihren Oberkörper und hebt die Flasche zum Mund. Sie trinkt und trinkt, ihr verdunsener Körper giert nach dem Wasser.
Erschöpft lässt Smilla die Flasche fallen.
Sie kippt um und auf dem Boden bildet sich eine kleine Wasserlache.
Smilla betrachtet den kleinen Fleck. Das Licht der Sonne bricht sich darin, die bunte Decke färbt ihn orange. Smilla beugt sich herunter und berührt mit dem Finger die Oberfläche. Das Wasser erziehtert, das Licht flackert, doch die Lache breitet sich nicht weiter aus.

flackernde lichter, nasser Boden, nasser Tisch

Smilla lässt sich zurück in ihr Kissen sinken, das Zopfgummi zerrt an ihren Haaren. Sie löst es. Ihre dunklen Locken fallen ihr ins Gesicht. Sie riechen nach Rauch. Zigarrettenrauch. Und ein frischerer Geruch, voller, lebendiger.

rauchschwaden verhüllen die gesichter, offene münder, geschlossene augen, tanzende körper, der geschmack von rauch, der unverkennliche geruch von den unzähligen kreisenenden joints betörrt die sinne, lautes lachen, freundschaft, zuneigung, überall glück, das bier fließt in strömen, in einer pfütze spiegelen sich körper, untrennbar vereint, bewegung durchzieht den raum, stolpern durch zimmer eine treppe hinauf, ein raum, frische luft, reine kissen, ganz weiß, nackte körper, die sich suchen, fordernde münder, verlangende hände, reines begehren, hingabe

Smilla liegt mit geschlossenen Augen da, spürt die Energien der vergangenen Nacht durch ihren Körper fließen. Mit ihren Händen fährt sie die Bahnen an ihrem Körper entlang, denen fremde Finger in der letzten Nacht gefolgt sind. Sie will sich in der Erinnerung verlieren, die lückenlos durch ihren Kopf zieht, jedoch vollkommen Konturlos, alles ist weich und sanft, die Farben verwischt.
Eine Nacht voller Freundschaft und Liebe, alle gemeinsam vereint im Rausch, pures Glück, Leben durch Hingabe.
Smilla kuschelt sich unter ihre Decke, zieht diese eng um sich, will sich im Schlaf verlieren, hinabtauchen in ein Welt des wohligen Entschwindens. Auflösen, Verwischen. Die Welt des puren Glücks wieder spüren. Wenn alles Poren geöffnet sind und Körper und Geist mit jeder Faser das Leben in sich fühlen.
Doch anstelle von Musik ertönt der Lärm der Straße, und statt Kerzen und Mondlich brennt die Morgensonne ins Zimmer.
Ein schöner Morgen, denkt Smilla.
Aber eindeutig zu früh.
Mühsam quält sie sich aus dem gemütlichen Bett und schwankt zum Fenster. Ihre nackten Füße sind auf dem glatten Boden gut zu hören. Gedanken durchströmen sie, doch sie sind so schnell weg, dass sie kaum zu fassen sind. Einen Moment fragt sie sich, ob es eine Rolle spielt, dass sie nur in Unterwäsche am Fenster steht, doch schon hat dieser unwichtige Gedanke ihren Kopf schon wieder verlassen.
Smilla schließt die schweren Vorhänge, das Zimmer wird wieder dunkel. Nur noch die rote Stehlampe verbreitet Helligkeit, taucht den Raum in einen weichen Schimmer.

leuchtende farben, dunkelheit hinter den fenstern, kleine helle punkte am himmel, die sterne glitzern, erzählen ihre geschichten

Zurück im Bett schaltet Smilla die Anlage an, Reagge übertönt den Autolärm. Im Schneidersitz hockt sie sich aufs Bett, sie braucht keine Decke, die Sonne hat das Zimmer ausreichend aufgewärmt.
Sie greift nach dem Aschenbecher. Ein halber Joint ist noch darin. Smilla zündet ihn an und nimmt einen tiefen Zug. Eine wohlige Wärme durchfährt ihren Körper. Die Farben kehren zurück, der Magen hat seine Revolte entgültig aufgegeben, ein Gefühl des Friedens breitet sich in Smilla aus.
Noch ist sie nicht bereit, sich dem Tag zu stellen. Noch muss die Nacht ein bisschen andauern. Und sie sinkt wieder hinein in die Traumwelt, wo Körper und Geist sich auflösen und völlig losgelöst dahinschweben.

Ein ganz normaler Tag


Aufwachen
sextourismus
Gähnen
kindesmissbrauch
Zähne putzen
armut
Zur Schule gehen
vergewaltigungen
Lernen
leistungsgesellschaft
Mittagessen
hunger
Sinnvoll beschäftigen
folter und gewalt
Sport treiben
krieg
Mit Freunden treffen
rassismus
Abendessen
umweltzerstörung
Zähne putzen
misstrauen
Fernsehen
wegschauen
Schlafen
alles wie immer

(Juni 2006)

Nur ein Gedanke…

Am Tag und in der Nacht
Beherrscht von einem Gedanken
Mit grenzenloser Macht
Er bildet stetig neue Ranken

Jede Ablenkung sinnlos
Er schaut dir ins Gesicht
Und sagt dann bloß:
Du schaffst es nicht

Greiff nach der Klinge
Schneide in die Haut
Gib’s auf, das Geringe
Im Kopf tönt es laut

Mit unendlicher Gier
Durchdringt er dein Herz
Und verlangt von dir
Den erlösenden Schmerz

Hässlich

Sie sitzt da, starrt auf den Teller. Die langen Haare fallen ihr ins Gesicht. Niemand sieht ihre Augen. Niemand sieht ihren starren Blick.
Fest umklammern ihre Hände Messer und Gabel. Ihre Finger sehen so aus, als würden sie sich in das Metall krallen wollen.
Vor ihr liegt eine halbe Scheibe Brot, dünn beschmiert.
Um sie herum reden sie. Worüber? Das weiß sie nicht. Sie ist darauf konzentriert, ein winziges Stückchen abzuschneiden. Langsam führt sie es mit der Gabel zum Mund. Mit aller Kraft zwingt sie sich, den Mund zu öffnen.
Bloß nicht auffallen.
Lächeln.
Sie will schlucken, aber ihr Hals ist wie zugeschnürrt.
Als sie es dann doch schafft rutscht ihr das Brot wie ein schwerer Steinbrocken in den Magen.
Ihr Bauch knurrt, sie hat Hunger. Aber sie kann nicht essen.
Ein bisschen Brot muss sein.
Schön langsam essen, dann fällt es nicht auf.
Wie viel Zeit wohl vergangen ist? Sind die Anderen schon fertig?
Erleichtert blickt sie auf.
Dann ergreift sie Panik. Schnell steht sie auf, nimmt ihren Teller und verlässt die Küche.

Sie steht vor ihrem Spiegel. Sieht sich selbst. Ein dickes, hässliches Mädchen. Fett. Nicht wie die Anderen. Nicht begehrenswert. Abstoßend.
Sie will schreien, will sich zerstören.
Ihre Wut, ihre Abscheu droht sie zu zerreißen. Sie hält den Hass nicht mehr aus.
Sie stößt einen lautlosen Schrei aus, zerrt an ihren Haaren, sie sinkt zu Boden.
Sie weint, doch kein Geräuscht kommt über ihre Lippen und ihre Augen sind staubtrocken.

Sie will sich auflösen. Einfach zerfließen in der Luft.
Sie muss dünn werden.
Und irgendwann… ist sie dann nicht mehr da.