Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Haut brennt. Brennt vor Sehnsucht. Oder Mangel. Brennt, weil der Kontakt fehlt. Berührung.
Dieses Gefühl ist nicht erst durch die Verbreitung von Covid-19 in mein Leben getreten, aber ich kann euch verraten, eine Pandemie macht das nicht leichter. Vor kurzem war ich einige Zeit in selbstgewählter Quarantäne. Geboosterte müssen nicht, doch mir erschien es völlig absurd, mich mit anderen Personen in einem Raum aufzuhalten, während meine Mitbewohnerin zuhause mit Covid sitzt. Also habe ich mich nur in meinem Zimmer aufgehalten und ging bei Wind und Wetter mit einer guten Freund:in jeden Tag zum Testzentrum spazieren. Diese Begegnungen waren wertvoll, waren Kontakt, Körper im Raum – wenn auch ohne Berührung.
Als ich wieder „raus“ kam, war ich völlig überfordert. Die Pandemie immer noch voll im Gange, dazu meine grundsätzliche Skepsis gegenüber körperlichem Kontakt. Ich habe auch vor der Pandemie nicht dazu geneigt, alle sofort zu umarmen, anzufassen oder gar zu kuscheln.
Es gab viele Phasen, in denen ich nicht in einer Beziehung war und auch keine Freund:innenschaften mit viel körperlichem Kontakt hatte. Phasen, in denen ich auch schon das Brennen meiner Haut gespürt habe. Einsamkeit. Einsamkeit obwohl ich gar nicht alleine bin.
Botenstoffe und Kartoffel-Kultur
Es wird euch nicht verwundern: Es gibt selbstverständlich wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema. Fehlende körperliche Nähe macht krank, führt zu Stress, hohem Blutdruck und schwächt das Immunsystem – und kann nebenbei Selbstwert und Selbstvertrauen ruinieren (ruinieren sagt die Google-Suche nicht. Nur bei Kindern, die gehen kaputt durch ein Mangel von gutem Kontakt.)
Bei Umarmungen wird Oxytocin ausgeschüttet, dass kann Stress mindern und wird auch das Bindungshormon genannt. Das stärkt also zwischenmenschliche Beziehungen. Außerdem gibt es noch jede Menge andere Hormone, die durch körperlichen Kontakt gute Laune auslösen können. Blutdruck und Stresshormone können gesenkt werden.
Wir wissen all das, aber dennoch ist Körperkontakt in Kartoffel-Kultur auch einfach super unüblich. Körperkontakt ist reserviert für Liebespartner:innen und die Familie™. Ich führe keine romantische Beziehung, und gelegentliche Hook-ups und grandios scheiternde Affären-Versuche haben nichts mit wirklichem Körperkontakt zu tun. Alles andere muss mühsam eingeübt werden und fühlt sich, für verkopfte Frauen wie mich, etwas unbeholfen an.
Jetzt ist es natürlich im Patriarchat so, dass fast alle Frauen schon erlebt haben, dass ungewollte Berührungen nix mit Glückshormonparty sondern eher mit Horror-Stress-Panik-Hormonen zu tun haben.
Konsenssprache als Werkzeug für das Patriarchat
Als ein Umgang mit diesen patriarchalen Machtdemonstrationen gibt es die Strategie des Vorher-Fragens, vor allem im Bezug auf sexuelle Berührungen. Sicherlich ist der Grundansatz ganz vernünftig: Sexualität ist dann was Schönes, wenn alle beteiligten Bock darauf haben. Das macht sich super als Slogans auf Transparenten und Demonstrationen, in der Praxis ist alles viel komplizierter, weil Sexualität eben nicht Tee trinken ist und erlernte Muster von dem, was ich wollen kann und darf und muss tief eingeschrieben in Körper, Fühlen und Verhalten sind. Mit ausgefeilter Konsenssprache haben nun ekelhafte Typen auch noch ein wunderbares Werkzeug mehr, um ihre Gewalt hinter schlauen Worten und Fragen zu verstecken.
Ich erinnere mich an eine Situation aus meiner Jugend, wo ein älterer Freund im Auto super creepy seine Hand auf mein Bein legte und dann aber dazu fragte, ob das für mich okay sei, andernfalls würde er die Hand sofort wegnehmen.
Natürlich war das super komisch und schräg und mein Kopf hat sich gedreht und mein Puls gerast. Ich sagte also: „Alles gut.“
Seht ihr, ich habe „eingewilligt“. Gerade durch die Frage war es noch viel unmöglicher zu sagen, dass das super scheiße ist und er seine verdammte Hand wegnehmen soll. Er hat doch gefragt, er ist doch ein netter, rücksichtsvoller Typ, dem so etwas wichtig ist.
Von hilfreichen ungefragten Berührungen
Ich habe inzwischen gelernt: Nicht alle wollen mir weh tun, heimlich meine Grenzen verletzen, mich ausschließen oder nieder machen, im Gegenteil. Aber weil mir das Gefühl dafür fehlt, versuche ich diese Dinge oft mit dem Kopf zu lösen, was dann zur Akzeptanz von unangenehmen Berührungen führen kann ebenso wie zum Zurückweichen vor Körperkontakt, nach dem ich mich eigentlich sehr sehne. Diese Sehnsucht kann auch etwas sehr Gefährliches haben, ich habe jedenfalls einige echt beschissene Situationen mit Typen gehabt, nur weil ich mich nach Kontakt, nach Nähe, nach Zuwendung gesehnt habe.
Mir ist bewusst, dass ich mich auf dünnem Eis in diesem Internet bewege. Aber: Manchmal bin ich sehr sehr froh über ungefragte Berührungen. Von der Physiotherapeutin, die im Vorbeigehen nochmal die Hand auf Schulter oder Oberarm legt. Meine Psychotherapeutin, die so etwas auch einfach macht. Freundinnen, die mich in eine Umarmung ziehen, auch wenn ich mich darin erst mal wie ein Roboter bewege.
Manchmal kommt vorher eine Frage, ob ich das möchte. Und diese Frage stellt mich direkt vor ein großes Gefühlschaos. In meiner Schulzeit habe ich von anderen vermittelt bekommen, dass ich ziemlich widerlich bin und niemand mir zu nahe kommen will. In diesen Brei noch die ein oder andere Grenzüberschreitung reingemischt – da ist es nur logisch, dass ich zunächst eher skeptisch bin, wenn eine andere Person mit mir Körperkontakt aufbauen will. Ich verkopfe völlig und sage dann meistens ja, meine innere Anspannung ist aber eigentlich durch die Frage bei einem Nein gelandet. Oder ich sage Nein, obwohl ich sehr gerne ja sagen würde.
Needy-Sein
Inzwischen bin ich auch fähig, manchmal über Körperkontakt zu kommunizieren. Wie vor einigen Wochen mit einer guten Freundin, da haben wir uns gerade nicht umarmt – und dann für eine Rückenumarmung entschieden. Kaum haben unsere Rücken sich berührt, habe ich wie auf Knopfdruck das Bedürfnis gehabt los zu heulen. Und sobald bei körperlicher Berührung auch noch Emotionalität hinzukommt, muss ich sehr kämpfen, um das nicht abzublocken. Ich bin doch eine selbstbewusste, unabhängige Frau und ich brauche niemanden.
Guter weiblicher Sozialisation getreu habe ich ein Problem damit, Bedürfnisse zu haben. Ich habe als Widerstandstechnik gegenüber Ausgrenzung und patriarchalem Bullshit gelernt, mich auf mich selbst zu verlassen, für mich zu kämpfen und möglichst viel Unabhängigkeit von anderen zu erreichen, von romantischen Beziehungen, überhaupt, lebendigen Wesen.
Als Feministin habe ich natürlich was von Solidarität gehört – aber das wende ich für mein Leben am liebsten nur darauf an, dass ich anderen gegenüber solidarisch bin. Wie schwer es mir fällt, nur ein kleines bisschen Hilfe anzunehmen, und ich lieber mit Krücken durch die halbe Stadt humpel und mir Blasen an den Fingern hole, statt um Unterstützung zu bitten.
Manchmal zwinge ich mich, das trotzdem zu tun. Zwinge mich, um Hilfe zu bitten, Unterstützung anzunehmen, wenn sie angeboten wird. Ich mache die wertvolle, kalenderspruch-reife Erfahrung, dass ich schon vieles auch alleine machen könnte – aber eben nicht muss. (Und nicht alles geht ohne Unterstützung, zum Beispiel, wenn eine auf Assistenz angewiesen ist.)
Ich zwinge mich, mir klar zu machen, dass meine Weigerung um Hilfe zu bitten, nichts mit heroischer Unabhängigkeit, sondern mit weiblicher Sozialisation und der fehlenden Wertschätzung für mich und mein eigenes Leben zu tun hat.
Und trotzdem ist das alles im Bezug auf körperliche Nähe noch viel komplizierter, wenn Körperkontakt doch auch so sehr mit potentieller Übergriffígkeit verbunden ist. Und außerdem, wer bin ich, das überhaupt wollen zu dürfen? Von jemand anders zu verlangen?! Auch hier gerät der Kopf durcheinander, vermischt Dinge, die nicht zusammen gehören. Aus einem optionalen Fragen wird dann ein Fordern, und die andere Seite bekommt keinerlei Handlungsmöglichkeit für Ja- und Nein-Sagen können und wollen zugesprochen.
Blocken ist wie kuscheln, nur besser
Meine Lösung für das Problem? Ich habe nicht wirklich eine. Aber ich fahre gerne auf Rollschuhen in Frauen und Enbys rein – oder lass sie in mich reinbrettern. Trotz tausend Pandemie-Sorgen habe ich mich irgendwann im letzten Jahr entschieden zum Roller-Derby-Training zu gehen (Bei uns gab es auch schon 2G Doppelplus bevor das cool war.)
Roller Derby, gegen die Vereinsamung des Körpers, für Kraft und Selbstwirksamkeit und die körperliche Fähigkeit, Vertrauen aufzubauen. Der Aufprall von meinem Körper und einem anderen Körper gibt mir unmissverständlich die Erkenntnis, dass ich existiere. Dass es gut ist, da zu sein. Im Weg zu stehen und zu nerven, dass mein Arsch nicht so leicht zu vertreiben ist. Ich spüre mich und andere. Das beste ist, ich muss dabei nicht über Gefühle nachdenken. Und fange (meistens) auch nicht an zu weinen vor lauter Überforderung. Blocken, das heißt mit vollem Körpereinsatz zu verhindern, dass eine andere an dir und deinem Team vorbeikommt, ist wirklich wie kuscheln. Wenn ein schön verteilter Hit mich von dannen schickt und ich noch Tage danach einen blauen Fleck betrachten kann, der mich an diesen Moment erinnert, spüre ich diese oben genannten Glückshormone. Lauter starke, coole Frauen & Enbys die Mut machen, immer wieder aufzustehen.
Wenn ich nicht zum Training gehen kann, Quarantänen, Kontaktreduktionen, feministische Revolution vorbereiten – dann spüre ich, ganz fasziniert, einen fast körperlichen Schmerz in mir. Ich versuche diesen auszugleichen, durch draußen Rollschuhfahren und mir auf Skatepark-Rampen wenigstens einen Adrenalin-Kick zu holen. Aber ganz geht der Schmerz nie weg.
Im Training ineinander fahren und danach zusammen in der Kälte vor der Halle ein (oder auch drei) Bier trinken, das hilft gegen Einsamkeit und den Schmerz der brennenden Haut – auch für verkopfte, sozialisationsruinierte und natürlich vollkommen unabhängige Nähe-Phobikerinnen wie mich.