Sexualisierte Gewalt. Weiß-Deutsche Vorbildlichkeiten

In Deutschland geistert die Vorstellung umher, die deutsche Kultur gegen eine frauenfeindliche Invasion verteidigen zu müssen. Währenddessen wird ein Strafbefehl von 24 000 Euro ausgesprochen gegen eine Frau, die ihre Vergewaltiger angezeigt hat. Deutsche Kultur at it’s best. Dass in Deutschland ein Nein nicht als Argument gegen Vergewaltigung gilt, wurde in den letzten Jahren immer wieder diskutiert. Erinnert sei an den Freispruch eines Vergewaltigers, weil sich eine Fünfzehnjährige „nicht genug gewehrt“ hätte. Ein Freispruch, der einer klaren Logik folgt: Frauen und Mädchen stehen weißen Männern zunächst frei zur Verfügung – es sei denn, es gibt klare, personalisierte Besitzansprüche von Mein Freund/Mein Mann – oder die Betroffene kämpft bis zum Tode. Vergewaltigt und tot, dann wird die Glaubhaftigkeit nicht in Frage gestellt. Denn dann scheint es anzukommen, dass die betreffene Frau oder Mädchen es auch wirklich nicht gewollt habe.
Aktuell zeigt sich noch eine andere Möglichkeit, sexualisierte Gewalt öffentlich zu machen: In einer zutiefst rassistische Gesellschaft. Immer dann, wenn die Täter nicht weiß-deutsch sind.

Der Besitz weißer Männer und die Bibel
Viele gute Texte wurden geschrieben, wenn auch unzählig mehr katastrophale. Das Jahr 2016 startet rassistisch. Und Nein, die aktuelle Debatte hilft nicht, sexualisierte Gewalt sichtbarer zu machen:

„Unter dem Deckmantel “unsere Frauen (sic!)” zu schützen wird hier eine rassistische Praxis legitimiert, Frauen instrumentalisiert und weiße deutsche Täter unsichtbar gemacht. Der Umstand sexualisierter Gewalt wird für rechte Propaganda und Angstmache missbraucht und plötzlich sind alle ganz eifrig dabei was dagegen zu tun. Gegen “die (sic!)” zu tun!
All jene, die Anzeigen gegen weiße deutsche Männer stellen/gestellt haben, haben aber weiterhin Pech, bleiben weiterhin in der jahrelangen Warteschleife, denen wird weiterhin nicht geglaubt, weil es halt bei rassistischer Verfolgung nicht weiterhilft. Rassismus meets Rapeculture und am Ende klopfen sich die weißen deutschen Männer stolz auf die Schulter, Deutschland ist gerettet! Not.“ (Don’t Degrade Debs, Darling: Rassismuss meets Rapeculture)

Der Beitrag macht deutlich, wie sehr es um Rassismus und die Aufrechterhaltung des erhabenen Bildes eines weißen deutschen Mannes geht. Es wird eine Angst davor geschürt, das Haus zu verlassen, dem bedrohlichen „Fremden“ zu begegnen. Dabei werden die eigenen Wände und Türen als etwas imaginiert was Schutz bietet. Zur Erinnerung: In diesem ach so vorbildlichen Deutschland gilt seit nicht einmal 20 Jahren (1997) Vergewaltigung in der Ehe als strafbar. Und die Verfolgung dessen bleibt unwahrscheinlich. Zu tief verankert ist das Besitzverhältnis. Welch wunder, in unserer christlich geprägten Gesellschaft. So steht im Zehnten Gebot in der Bibel:

„Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh [Domspatzen] noch alles, was dein Nächster hat.“ (Bibel nach Luther, Ex 20,17)

In dem das Gebot aufgestellt wird, dass das „Weib“ und die „Magd“ des „Nächsten“ nicht begehrt werden soll, wird ein Besitzverhältnis zementiert, in dem Frauen zu einem Mann gehören, ihm untergeordnet sind. Sie werden objektifiziert. Kein Wunder, dass es sich eine solche Gesellschaft schwer tut, Frauenrechte anzuerkennen. Das schlägt sich auch in der Rechtssprechung nieder. Angela Davis schreibt in „Rassismus und Sexismus“:

„In den Vereinigten Staaten und in anderen kapitalistischen Ländern waren in der Regel die Gesetze gegen Vergewaltigung ursprünglich zum Schutz der Männer aus den Oberschichten, deren Töchter und Frauen angegriffen werden könnten, erlassen worden. Was mit den Frauen aus der Arbeiterklasse geschah, war gewöhnlich für die Gerichte von wenig Belang. Eine Folge davon ist, dass bemerkenswert wenig weiße Männer wegen sexueller Gewalt, die sie an diesen Frauen verübten, belangt wurden.“ (Angela Davis: Rassismus und Sexismus, 1982)

Hier macht Davis nicht nur die rassistische Struktur der Verfolgung sexualisierter Gewalt deutlich, sondern auch, dass diese Verfolgung mit der Aufrechterhaltung einer Klassenordnung zu tun hat. (Sexualisierte) Gewalt gegen Schwarze Frauen und Mädchen wird bis heute kaum beachtet. Die Täter bleiben unsichtbar. Die Bebilderung von Artikeln zum Thema zeigen auch jetzt wieder weiße, oft blonde, als heterosexuelle imaginierte Frauen mit langen Haaren. Die Unsichtbarkeit der Täter wird nur dann gebrochen, wenn diese nicht weiß sind.

Das bedrohliche „Andere“

“Unsere sexistischen und gewaltvollen Strukturen werden verschleiert und Missstände ethnisiert – etwa dann, wenn davon ausgegangen wird, dass eine Meute betrunkener Männer nur bedrohlich sein kann, wenn diese »arabisch oder nordafrikanisch« (oder einfach: irgendwie ausländisch) aussehen. Es wird verschleiert, wo in unserer Gesellschaft überall Gewalt gegen Frauen ausgeübt, institutionalisiert, legitimiert und bagatellisiert wird.”(Nadia Shehadeh: Angstmacherei mit System)

Ein Blick auf die weiß-deutschen Freunde, Ex-Freunde, Väter, Großväter, Onkel, Bekannte, Partner und Freunde der Familie gibt es nicht. Schon gar nicht in bürgerlichen Verhältnissen. Wie auch. Das Gefährliche ist das Draußen, die Party, das Haus zu verlassen. Nicht dass ich nicht auch Männergruppen meiden würde. Betrunkenes Patriarchat ist einfach zum Kotzen. Karneval? Oktoberfest? Lauter betrunkene Typen, junge, alte, fast immer weiß-deutsch, die ihre Hände nicht bei sich behalten können? Deutsche Kultur, ich scheiß auf dich.
Und doch basiert diese Angst vor dem Draußen auf einem Bedrohungsszenario, dass sich tief verwurzelten, rassistischen Logiken bedient:

„Der „dunkle Mann“, „das Fremde“ passen gut als besonders gefährlich in dieses Szenario. Sei nur erinnert an das Kinder“spiel“: „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ – auch dieser Zusammenhang ist nicht zufällig sondern hat mit gesellschaftlichen Strukturen zu tun. Eine diese Mythen entsprechende Vergewaltigung ist weitaus seltener, kommt aber eher zu einer Verurteilung. Ein Hoch auf unser rassistisches Rechtssystem!“ (Mythen über Mythen. Was das Heimwegtelefon mit rape culture zu tun hat)

Letztendlich dient die Verschärfung des Bildes des bedrohlichen Außens erneut dazu, Frauen auf ihren Platz am heimischen Herd zu verweisen. Dort sind die Besitzverhältnisse geklärt und der weiße Mann kann sich als Held und Beschützer fühlen. Denn jetzt, da rettet er auch noch die Nation vor der gefährlichen Bedrohung, die ein nie dagewesenes Problem darstellt. Der Retter, der noch nie Frauen angelabert, angetatscht oder bedrängt hat. Deswegen ist der weiße, deutsche Mann dann auch schwer geschockt, wenn er doch einmal angezeigt wird. In seiner Fantasie war doch alles einvernehmlich! Aber keine Sorge, eine Angst vor Strafverfolgung muss er nicht haben. Da springt die deutsche Kultur ein. Die Idee wird aufrechterhalten, das ständig Frauen und Mädchen durch die Republik rennen würden, die aus Profitgier, Rache oder .. (Ja, warum eigentlich? Spaß? Langeweile? Feminismus? Störung?) Männer falsch beschuldigen würden.

Die Mär der Falschbeschuldigung
Die Vorstellung der sexuellen Falschbeschuldigerin hat in Deutschland lange Tradition. Oft ist sie verbunden mit der Idee einer Geisteskrankheit/psychischen Störung der betreffenden Frau. Ein Autor nennt als Faktoren, die Falschbeschuldigungen begünstigen würden:

„In erster Linie ist da der Einfluß der weiblichen Geschlechtsartung zu nennen, und es kann gar keine Frage sein, daß die weibliche Wesensart als solche einen Faktor darstellt, der von sich aus das Auftauchen solcher zu sexuellen Falschbeschuldigungen führender Gedankenreihen und Handlungstendenzen begründet.[…] Das wertvollste, praktisch-brauchbarste Ergebnis der Untersuchung ist jedenfalls das, wenn man […] auf Erscheinungen stößt, die unverkennbar auf die Mitwirkung pathologischer Elemente beim Zustandekommen der betreffenden Anschuldigungen hinweisen.“ (Karl Birnbaum: Die sexuelle Falschbeschuldigungen der Hysterischen, 1915)

Frauen gelten auch heute noch als tendenziell manipulativ. Die Anzahl der Falschbeschuldigungen sind im Bereich sexualisierter Gewalt nicht höher als in anderen Bereichen. Doch immer wieder wird sie zum Thema. Der weiß-deutsche Mann ist ganz verwirrt, denn er hat es nicht so gemeint – in Wahrheit hat sie es doch so gewollt.
So verwundert es auch nicht, dass in einem – seit einem Jahr eingestellten Verfahren – plötzlich ein Strafbefehl gegen eine Frau ergeht, die ihre Vergewaltiger angezeigt hat. Falschbeschuldigung, so der Vorwurf. Begründet wird dies vom Richter damit, dass aus „Chatverläufen“ nicht hervorginge, dass es sich nicht um einvernehmlichen Sex gehandelt habe. Dass mit der Unschuldsvermutung argumentiert wird um Vergewaltiger nicht zu bestrafen ist die eine Ebene. Das zeitgleich mit dem Nicht-Glauben ein Strafbefehl ausgesprochen wird geht um einiges weiter: Das nicht beweisen können einer Vergewaltigung wird zur Falschbeschuldigung erklärt.
Die Begründungen werden schon in den Artikeln deutlich. Die deutsche Kultur und ihre grandiose Berichterstattung: Die eine Zeitung schreibt von der „29-jährige Blondine mit dem ausladenden Dekolleté“ (Huffingtonpost, 2.1.2016) und von einem „Sextape“. Dass dieses Video gegen den Willen der Frau gedreht wurde, auf dem Video die Worte „Hört auf“ zu hören sind und dass dieses Video gegen den Willen der Frau immer noch im Internet kursiert, interessiert die deutsche Kultur nicht. In allen Artikeln wird immer wieder geschrieben: „die Blondine“. Es ist eine Klassenfrage: Blonde Frauen sind sexy aber dumm. Zur weiß-deutschen Kultur gehören zahlreiche Blondinenwitze. Etwa der Art: „Was passiert, wenn sich eine Blondine an einen Baum lehnt? Der Baum fällt um! Warum?
Der Klügere gibt nach!“ Wie witzig. Oder auch ein Ausdruck einer frauenfeindlichen, klassistischen Gesellschaft. Die Fotos, welche die Artikel zur angeblichen Falschbeschuldigung bebildern, zeigen beispielsweise einen betonten Ausschnitt um deutlich zu machen: Diese Frau will Sex – also kann es keine Vergewaltigung gewesen sein.
Als ein weiterer „Beweis“ für die Falschbeschuldigung wird ein toxikologisches Gutachten genannt, in dem bewiesen worden wäre, dass es, entgegen der Vermutung der Frau, keine K.O.-Tropfen gegeben habe. Als Nachhilfe für unsere deutschen Richter ein kleiner Exkurs. Es gibt zahlreiche Substanzen die dazu eingesetzt werden, Frauen widerstandunfähig zu machen und die dazu führen, dass Erinnungslücken entstehen. GHB (Gamma-Hydroxybuttersäure), oft als Liquid Ecstasy bezeichnet, ist eine der Substanzen, die häufig unter KO-Tropfen assoziiert werden.

„GHB wird im Körper innerhalb weniger Stunden soweit abgebaut, dass es nicht mehr nachweisbar ist. Für einen medizinischen Nachweis ist zudem eine gezielte toxikologische Analyse von Blut oder Urin notwenidg. […] Im Blut ist GHB ca. 6 – 8 Stunden nachweisbar, im Urin etwa 12 – 14 Stunden.“ (Notruf Hamburg: K.O.-Tropfen)

Da die Anzeige zwei Wochen nach der Tat erfolgte, ist dieses Gutachten demnach absolut nichtssagend. Das sind also die weiterreichenden Beweise gegen eine Frau, die Vergewaltigung angezeigt hat. Sie ist nun diejenige, die bestraft wird. Sie gilt als „Schlampe“ und „Nutte“ – und wie unsere Gesellschaft so schön beschlossen hat, Sexarbeiter_innen können nicht vergewaltigt werden. Also gilt diese Beschimpfung als Delegitimierung, als klassistische Degradierung um die Glaubhaftigkeit der Betroffenen in Frage zu stellen.
Die Debatte um diesen Strafbefehl scheint völlig unabhängig von der Debatte um die sexualisierte Gewalt um Köln zu sein. Was auf den ersten Blick völlig absurd erscheint, ergibt nur dann Sinn wenn eine sich anschaut, wie tief Rape Culture verwoben ist mit Rassismus und Klassismus. Wenn der Täter also nicht in eine rassistische Vorstellung passt, gilt der aktuelle „Aufschrei“ nicht, wenn die Täter aus dem Nahumfeld stammen gilt der aktuelle „Aufschrei“ nicht, wenn Täter sich gute Anwälte leisten können oder bekommen und somit einer Verurteilung entgehen, weil sie weiß und deutsch sind – dann gilt der aktuelle „Aufschrei“ nicht.
Und so bleibt auf ein Neues unsichtbar, wie Angst produziert wird, Frauen verboten wird das Haus zu verlassen, wie rassistisch unsere Gesellschaft ist und vor allem wird sexualisierte Gewalt nicht besser thematisierbar als bisher. Denn das könnte ja die deutsche Kultur in ihren partiarchalen Grundfesten erschüttern.

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4 Gedanken zu „Sexualisierte Gewalt. Weiß-Deutsche Vorbildlichkeiten

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  2. Pingback: My Body Is Not Your Battlefield – elbfem

  3. Pingback: Sexualisierte Gewalt. Weiß-Deutsche Vorbildlichkeiten « nichts neues?!

  4. Anna

    Bei AfD-Anhängern ist ja das Compact-Magazin beliebt.

    Die FAZ zitiert daraus http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/clausnitz-zeigt-dass-tribalismus-alltag-wird-14084630.html

    — „Es geht um unsere Handys, unsere Brieftaschen, unsere Frauen, im Extremfall um unser Leben“, heißt es in einem Editorial der Zeitschrift „Compact“, und dass Frauen da nicht selbst „wir“ sind, sondern zu dem zählen, was „uns“ gehört (wie ein Handy oder das werte Leben), ist eine kleine Offenbarung, […] —

    anscheinend werden hier Frauen als Besitz angesehen, so wie die Brieftasche.

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